1. Navigation
  2. Inhalt
REVOSax - Recht und Vorschriftenverwaltung Sachsen

Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz über das Absehen von Strafverfolgung und Strafvollstreckung bei auszuliefernden oder abzuschiebenden Ausländern (§§ 154 b, 456 a StPO)

Vollzitat: Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz über das Absehen von Strafverfolgung und Strafvollstreckung bei auszuliefernden oder abzuschiebenden Ausländern (§§ 154 b, 456 a StPO) vom 25. April 1996 (SächsJMBl. S. 69), zuletzt enthalten in der Verwaltungsvorschrift vom 11. Dezember 2009 (SächsABl. SDr. S. S 2431)

Verwaltungsvorschrift
des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz
über das Absehen von Strafverfolgung und Strafvollstreckung bei auszuliefernden oder abzuschiebenden Ausländern (§§ 154 b, 456 a StPO)

Vom 25. April 1996

I.
Allgemeines

In Strafverfahren gegen ausländische Staatsangehörige, deren Auslieferung bewilligt oder deren Ausweisung angeordnet ist, ist zu prüfen, ob von der Erhebung der öffentlichen Klage gemäß § 154 b StPO oder von der Strafvollstreckung gemäß § 456 a StPO abgesehen werden kann. Hiervon soll in geeigneten Fällen nach Maßgabe der folgenden Grundsätze Gebrauch gemacht werden.

II.
Absehen von Strafverfolgung (§ 154 b StPO)

1.    Voraussetzungen

a)
Die Auslieferung des Beschuldigten muß gemäß § 12 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl. I S. 1537), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. April 1995 (BGBl. I S. 485), bewilligt oder die Ausweisung bestandskräftig angeordnet sein. Einer Ausweisungsanordnung steht die Abschiebungsandrohung nach § 50 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz – AuslG) vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186) gleich.
b)
Absehen von Strafverfolgung kommt auch schon vor Abschluß der Ermittlungen in Betracht, wenn die wesentlichen Beweise gesichert sind und eine Einstellung des Verfahrens nach anderen Vorschriften ausscheidet.
c)
Gebietet das öffentliche Interesse wegen der Schwere der Tat oder der Gefährlichkeit des Beschuldigten die Durchführung des Strafverfahrens und die Strafvollstreckung, ist § 154 b StPO grundsätzlich nicht anzuwenden. Dies gilt insbesondere in Verfahren
 
aa)
wegen Straftaten gegen das Leben, wegen Menschenhandels oder vergleichbar schwerer Delikte,
 
bb)
wegen gewerbs- und bandenmäßig begangener Straftaten,
 
cc)
gegen Beschuldigte, die nach Ausweisung unerlaubt erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind,
 
dd)
wegen einer Straftat des Einschleusens von Ausländern nach § 92 a AuslG.

2.    Verfahren

a)
Wird der Staatsanwaltschaft eine Ausweisungsverfügung oder eine Abschiebungsandrohung bekannt oder ist nach der Gesetzeslage und der Praxis der zuständigen Verwaltungsbehörden eine Ausweisungs-verfügung oder Abschiebungsandrohung zu erwarten, so hat sie von sich aus mit der zuständigen Behörde Verbindung aufzunehmen, wenn die Anwendung des § 154 b StPO in Betracht kommt.
b)
Im Falle des § 154 b Abs. 3 StPO ist über das Absehen von Strafverfolgung unverzüglich nach Bestandskraft oder Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung oder Abschiebungsandrohung eine Entscheidung zu treffen.
c)
Treten die Voraussetzungen des § 154 b StPO erst nach Erhebung der öffentlichen Klage ein und soll von der Strafverfolgung abgesehen werden, so ist nach § 154 b Abs. 4 Satz 1 StPO bei dem zuständigen Gericht die vorläufige Einstellung des Verfahrens zu beantragen.
d)
Der Beschuldigte soll darauf hingewiesen werden, daß das Verfahren wieder aufgenommen werden kann, wenn er in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehrt.
e)
Die Staatsanwaltschaft leitet die im Einzelfall zur Sicherung der Strafverfolgung im Falle der Rückkehr des Beschuldigten in das Bundesgebiet zweckmäßigen Fahndungsmaßnahmen ein.

III.
Absehen von Strafvollstreckung (§ 456 a StPO)

1.    Zeitpunkt

a)
Von der Vollstreckung einer zeitigen Freiheitsstrafe kann ganz oder schon vor Verbüßung der Hälfte abgesehen werden, wenn neben der Verurteilung eine in dem Verfahren erlittene Freiheitsentziehung oder die Auslieferung oder Ausweisung selbst zur Einwirkung auf den Verurteilten und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheinen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Verurteilte für die abgeurteilte oder für eine andere Tat im Ausland eine weitere Strafe zu erwarten hat. Ein Absehen von Vollstreckung vor Verbüßung der Hälfte kommt insbesondere in Betracht, wenn
 
aa)
bei Fortsetzung der Vollstreckung mit der bedingten Entlassung der Verurteilten gemäß § 57 Abs. 2 StGB zum Halbstrafenzeitpunkt zu rechnen wäre oder
 
bb)
die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt war und der Widerruf der Bewährungsaussetzung allein auf der Verletzung von Auflagen und Weisungen oder auf einer neuen Straftat beruht, die nicht zu einer Freiheitsstrafe geführt hat.
b)
Nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe ist in der Regel von der weiteren Vollstreckung abzusehen. Eine darüber hinausgehende Vollstreckung kommt nur dann in Betracht, wenn aus besonderen, in der Tat oder in der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung eine nachhaltige Vollstreckung geboten ist. In diesen Fällen kann jedoch nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden.
c)
Sind mehrere Strafen zu vollstrecken, so setzen sich die zuständigen Vollstreckungsbehörden miteinander in Verbindung, um Einvernehmen über das weitere Vorgehen und die Dauer der Vollstreckung herbeizuführen. Bei der Berechnung des maßgeblichen Zeitpunkts gemäß § 456 a StPO ist von der insgesamt zu vollstreckenden Strafe auszugehen.
d)
Bei lebenslanger Freiheitsstrafe kommt ein Absehen von weiterer Vollstreckung in der Regel nicht vor Verbüßung von 15 Jahren in Betracht. In Ausnahmefällen kann schon vor diesem Zeitpunkt gemäß § 456 a StPO verfahren werden; dies gilt insbesondere, wenn der Verurteilung eine Konflikttat zugrunde lag, der Gesundheitszustand des Verurteilten schwerwiegend beeinträchtigt oder nicht sicher ist, daß eine vollziehbare Ausweisungsverfügung auch zu einem späteren Zeitpunkt durchgesetzt werden kann. Das Absehen von weiterer Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafe bedarf bei einer Verbüßungszeit von unter 15 Jahren der Zustimmung des Generalstaatsanwalts.
e)
Für die Vollstreckung der Jugendstrafe gelten die Bestimmungen unter a) bis c) entsprechend.
f)
Eine Ersatzfreiheitsstrafe soll in der Regel auch nicht teilweise vollstreckt werden, wenn die Voraussetzungen des § 456 a Abs. 1 StPO vorliegen und im Falle einer Ausweisungsverfügung die tatsächliche Ausreise des Ausländers demnächst erfolgen soll.
g)
Bei einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung ist für jeden Einzelfall möglichst frühzeitig zu prüfen, ob von der Vollstreckung gemäß § 456 a StPO abgesehen werden kann.

2.    Verfahren

a)
Die Vollstreckungsbehörde prüft von Amts wegen, ob von der Vollstreckung abzusehen ist. Sie setzt sich hierzu mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um festzustellen, ob gegen den Verurteilten eine Ausweisungsverfügung ergangen ist oder ob mit dem Erlaß einer solchen Verfügung gerechnet werden kann. Die Mitteilungspflichten gegenüber der Ausländerbehörde nach § 76, insbesondere § 76 Abs. 4 AuslG, und nach den §§ 1, 4 der Verordnung über Datenübermittlungen an die Ausländerbehörden (Ausländerdatenübermittlungsverordnung – AuslDÜV) vom 18. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2997, ber. 1991 I S. 1216) sind zu beachten.
b)
Die Maßnahme nach § 456 a StPO soll möglichst so frühzeitig angeordnet werden, daß die zur Entlassung, Ausweisung oder Abschiebung notwendigen Vorbereitungen der Vollzugsanstalt und der Ausländerbehörde rechtzeitig getroffen werden können und sich die sonst von Amts wegen gebotene Prüfung der bedingten Entlassung nach §§ 57, 57 a StGB, § 88 JGG erübrigt.
c)
Die Vollstreckungsbehörde teilt das Absehen von weiterer Vollstreckung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 der Strafvollstreckungsordnung (StVollstrO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. August 1987 (BAnz. Nr. 159), zuletzt geändert durch Allgemeine Verfügung vom 20. Juni 1991 (BAnz. Nr. 117), der zuständigen Ausländerbehörde alsbald mit und unterrichtet sie über den noch zu vollstreckenden Strafrest und den Zeitpunkt der Vollstreckungsverjährung. Die Ausländerbehörde ist zu bitten, die Vollstreckungsbehörde zu verständigen, falls ihr bis zum Eintritt der Vollstreckungsverjährung bekannt wird, daß sich der Verurteilte erneut im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhält.
d)
Die Vollstreckungsbehörde ergreift für den Fall einer bei Rückkehr des Verurteilten in das Bundesgebiet notwendig werdenden Fortsetzung der Vollstreckung geeignete Maßnahmen. In der Regel trifft sie eine Anordnung über die Fortsetzung der Vollstreckung und legt einen Suchvermerk im Bundeszentralregister nieder (§ 17 Abs. 1 Satz 2 StVollstrO). In geeigneten Fällen kann ein Voll-streckungshaftbefehl oder ein Steckbrief erlassen und der Verurteilte zur Festnahme ausgeschrieben werden. Der Verurteilte ist eingehend darüber zu belehren, daß für den Fall seiner Rückkehr die Nachholung der Vollstreckung angeordnet ist und Fahndungsmaßnahmen eingeleitet sind.
e)
Wird von der Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach § 456 a Abs. 1 StPO nicht abgesehen, so unterrichtet die Vollstreckungsbehörde, wenn die Staatsanwaltschaft die Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB befürwortet oder beantragt, die zuständige Ausländerbehörde unverzüglich über den in Betracht kommenden Entlassungszeitpunkt, damit diese in die Lage versetzt wird, die Abschiebung des Verurteilten ordnungsgemäß vorzubereiten und durchzuführen.

3.    Verhältnis zu anderen Verfahren

a)
Die Regelungen
 
aa)
über das Absehen der Vollstreckung gemäß § 456 a StPO.
 
bb)
für die Vollstreckungshilfe nach § 71 IRG und
 
cc)
über die Möglichkeiten der Überstellung verurteilter Personen nach dem Gesetz vom 26. September 1991 zu dem Übereinkommen vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen (BGBl. II S. 1006, BGBl. II 1992 S. 98) stehen rechtlich selbständig nebeneinander.
b)
§ 456 a StPO stellt in der Regel ein einfacheres Verfahren als das Vollstreckungshilfeverfahren nach § 71 IRG oder die Überstellung nach dem vorgenannten Übereinkommen dar. Während bei § 456 a StPO allein die Vollstreckungsbehörde oder der Vollstreckungsleiter über die Maßnahme entscheidet und die Einwilligung des Verurteilten nicht vorliegen muß, ist bei der Überstellung nach dem Übereinkommen eine Einigung mit dem Vollstreckungsstaat über die Überstellung sowie die Zustimmung des Verurteilten erforderlich. Auch wird die Vollstreckung im Urteilsstaat durch die Übernahme der verurteilten Person durch den Vollstreckungsstaat ausgesetzt (Artikel 8 Abs. 1 des Übereinkommens). Im Falle des § 456 a StPO hingegen ordnet die Vollstreckungsbehörde oder der Vollstreckungsleiter mit der Absehensverfügung die Fortsetzung der Vollstreckung für den Fall an, daß der Verurteilte in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zurückkehrt.
c)
Ist ein Überstellungsverfahren nach dem vorgenannten Übereinkommen eingeleitet und treten nachträglich auch die Voraussetzungen für die Anwendung des § 456 a StPO ein, so ist vor einem Absehen von der weiteren Vollstreckung dem Staatsministerium der Justiz auf dem Dienstweg zu berichten und dessen Entscheidung abzuwarten.

IV.
Inkrafttreten

Die Verwaltungsvorschrift tritt am 1. Juni 1996 in Kraft.

Dresden, den 25. April 1996

Der Staatsminister der Justiz
Steffen Heitmann

Marginalspalte

Verweis auf Bundesgesetze

    Fundstelle und systematische Gliederungsnummer

    SächsJMBl. 1996 Nr. 4, S. 69
    Fsn-Nr.: 270-V96.1

    Gültigkeitszeitraum

    Fassung gültig ab: 1. Juni 1996

    Fassung gültig bis: 31. August 2011