2. Bekanntmachung
des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus
Konzept zur schulischen Medienerziehung im Freistaat Sachsen

vom 2. April 1996

Gliederung

1.
Ausgangsüberlegungen zur schulischen Medienerziehung
2
Ziele, Inhalte und Methoden schulischer Medienerziehung
2.1
Ziele und Inhalte
2.2
Methoden
3
Organisation der schulischen Medienerziehung
3.1
Grundlagen
3.1.1
Integrative Medienerziehung als Unterrichtsprinzip
3.1.2
Einführung des expliziten Sachbereiches „Medienpraxis“
3.2
Medienerziehung als Schulart- und fächerübergreifendes Element
3.2.1
Grundschule
3.2.2
Mittelschule / Gymnasium – Klasse 5 / 6
3.2.3
Mittelschule / Gymnasium – Klasse 7 / 8
3.2.4
Mittelschule / Gymnasium – ab Klasse 9
3.2.5
Berufsbildende Schulen
3.2.6
Freizeitbereich und Arbeit mit den Eltern
4
Rahmenbedingungen für schulische Medienerziehung
4.1
Lehrplanarbeit und Gestaltung der Rahmenpläne
4.2
Befähigung der Lehrerinnen und Lehrer
4.3
Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien
5.
Schlußbemerkung

Literaturhinweise

1
Ausgangsüberlegungen zur schulischen Medienerziehung

Die Entwicklung vor allem elektronischer Kommunikations- und Informationstechnologien bringt für alle Lebensbereiche tiefgreifende Änderungen, die ihre Auswirkungen sowohl im gesellschaftlichen als auch im familiären Umfeld spürbar werden lassen. Neben diesen, sich neu- bzw. weiterentwickelnden elektronischen Medien, wozu wir Produkte und Technologien auf der Grundlage der Digitalisierunq zählen können, darf die übrige Welt der Medien, die z.B. durch Bücher, Zeitschriften, Rundfunk, Film und Fernsehen gebildet wird, nicht vernachlässigt werden. Bildung und Bildungsplanung haben deshalb eine sich zunehmend verdichtende „Medienwelt“ zu berücksichtigen, deren Wirkungsbreite und -tiefe auf individuelles und gesellschaftliches Verhalten wächst. Die Bedeutung der Medienumwelt für Rinder und Jugendliche hat sich erhöht. Die Medienwelt gehört zum Alltag von Familie und Schule. Medien sind zu echten „Miterziehern“ geworden.
Deshalb muß von einer veränderten Situation für die Schule ausgegangen werden, die dadurch geprägt ist, dass Medien für die Biographien der Kinder und Jugendlichen einen anderen Stellenwert haben als für die Generation ihrer Lehrer und Eltern. Für Kinder ist Medienwirklichkeit nicht etwas neu Hinzugekommenes, für sie ist sie von Anfang an gegeben.
Von dieser Position gehen sowohl der Orientierungsrahmen „Medienerziehung in der Schule“ der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung als auch die Erklärung der Kultusministerkonferenz auf ihrer 272. Plenarsitzung (11./12.05.95) aus. Beide Dokumente erklären aus den o.g. Gründen schulische Medienerziehung zu einer verpflichtenden und prioritären Aufgabe. Der Freistaat Sachsen stellt sich ihr mit vorliegender Konzeption.
In dieser Konzeption wird davon ausgegangen, dass die Medien in einem untrennbaren Zusammenhang mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien stehen.
Schule wurde zu allen Zeiten durch geistige und gesellschaftliche Entwicklungen beeinflußt. Das gilt auch im Hinblick auf die Entwicklung von Medien.
Bei der Bewertung des Einflusses von Medien wird deshalb von folgenden wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen ausgegangen:
Chancen von Medien zeigen sich vor allem in folgenden Möglichkeiten:

  • Sinnvolle Nutzung der vielfältigen Möglichkeiten zur Information und Kommunikation
  • Unterstützung des Lehr- und Lernprozesses
  • Entwicklung neuer Arbeitsmethoden durch Förderung kognitiver Fähigkeiten und durch Aktivierung praktisch-logischer Denkprozesse
  • Nutzung und Steuerung emotionaler Wirkungen: Gefühlsansprache
  • Kreative und unterhaltende Freizeitgestaltung
  • Schulung der Wahrnehmung (Erhöhung visueller und auditiver Wahrnehmungsspezifik)

Neben den Chancen bestehen Risiken durch:

  • Einschränkung von unmittelbar sinnlichen Erfahrungen in der Realität bei gleichzeitiger Gefahr von Sinnesüberreizung durch die Medien
  • Reduzierung des Bewegungsraums und der aktiven, kreativen Betätigungsmöglichkeiten durch erhöhten Medienkonsum
  • Manipulation der Konsumenten
  • Gefahr, dass problematische Verhaltensweisen (z.B. aggressive Verhaltensmuster) entstehen und sich durch unbewältigten Pluralismus und vielfältige Wertvorstellungen bzw. durch Werteverluste Orientierungslosigkeit einstellt
  • Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von Realität und Fiktion, Information und Werbung mit der Möglichkeit, dass sich durch unzulängliche Informationsbeschaffung und -bewertung irreführende Vorstellungen von Wirklichkeit ausbilden.

Es geht darum, Kinder und Jugendliche zu befähigen, die Chancen der Medien möglichst umfassend zu nutzen und die Risiken damit abzubauen.

Im Mittelpunkt des Umgangs mit Medien hat Schule zur Medienkompetenz zu erziehen. Das bedeutet Ausprägung und Befähigung zum sachgerechten , kritischen und kreativen Umgang mit Medien und deren Inhalten. Dabei hat sie zu berücksichtigen, dass Medien nicht lediglich aus einer egozentrischen Perspektive genutzt werden sollen, sondern auch im Hinblick auf gesellschaftliche Erfordernisse (Prinzip der sozialen Verantwortlichkeit).
Es muß dabei auch die Notwendigkeit gesehen werden, dass sich die heutige Fächerzentriertheit, die aus einer tradierten Wissenschaftsstruktur stammt, verändern muß. Eine herkömmliche Fächerabgrenzung wird – infolge sich verändernder gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen – immer schwieriger. Schon heute zeichnet sich eine „Aufweichung“ bestehender Fächerstrukturen in fächerübergreifende Lernbereiche ab.
Diese allgemein für Bildung gültigen Überlegungen erfordern auch ein Überdenken verschiedener Ansätze für Medienerziehung. Neben dem integrativen Prinzip muß der fächerübergreifende projektorientierte Ansatz zur Verstärkung der Medienerziehung erprobt werden.
Darüber hinaus ist es eine Tatsache, dass an den Schulen besonders der Umgang mit Printmedien gelehrt wird, während die Nutzung der audiovisuellen Medien (AV-Medien) einschließlich des so beherrschenden Mediums Fernsehen nicht zu den eigentlichen Unterrichtsthemen gehört. Es ist ein grundlegendes Ziel; zur Kompetenz auch auf dem Gebiet der AV-Medien zu führen. Der „TV-Analphabetismus“ 1) muß abgebaut werden.

Wie in einschlägigen Veröffentlichungen begründet wird, ist es für die Medienpädagogik im Zusammenwirken der verschiedenen Medien nützlich, den Begriff „Text“ neu zu definieren, um die medienpädagogische Arbeit in den einzelnen Rubriken Print-, AV- und EDV-Medien nicht isoliert voneinander zu gestalten. „Text“ muß als Einheit von Wort, Bild und Ton (Gesamttextbegriff) aufgefaßt werden. Damit bedeutet die Lehrplanforderung „Lesen lernen“ das umfassende Erlernen des inhaltlichen und technischen Umganges mit allen Medien. 2)

Trotz der erforderlichen Behandlung aller einzelnen Medien kommt den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien neben dem traditionellen Fernsehen eine herausragende Bedeutung zu. Der Einsatz des Computers führt die verschiedenen Medien zusammen, wobei auch ein Qualitätssprung bezüglich der Arbeitsmethoden erfolgt. So wird es möglich, mit einem technischen Gerätekomplex Medienerziehung auf fast allen herkömmlichen Gebieten zu gestalten:

  • Worttextgestaltung
  • Bild(text)gestaltung
  • Möglichkeiten auf musikalischem Gebiet
  • Interaktion (Programme/Spiele)
  • Unterstützung des Lernprozesses (didaktische Software)
  • Situationsanalyse und Problemlösung (Simulation/Programmierung)
  • Telekommunikation über Netze
2
Ziele, Inhalte und Methoden schulischer Medienerziehunq
2.1
Ziele und Inhalte

Wenn Schule künftig mehr als Erfahrungs- und Lebensraum verstanden werden muß, in dem Sozialisation handelnd erfolgt, wie Bildungsplaner zunehmend fordern, dann ist stärker zu beachten, dass Medien auch unter dem Aspekt der Emotionalität betrachtet werden. Medien lösen in starkem Maße Gefühle aus. Diese für Bildung und Erziehung zu nutzen, ist ebenfalls eine Aufgabe von Medienerziehung.
Allgemeine Ziele schulischer Medienerziehung:

  • Bewußte, zielgerichtete und sinnvolle Mediennutzung durch:
    • Befähigung zur aktiven Aufarbeitung von Medieneinflüssen,
    • Befähigung zur kompetenten Beurteilung von Medienaussagen,     
    • Befähigung zur kritischen Medienanalyse.
  • Kennenlernen der typischen Besonderheiten und Möglichkeiten der verschiedenen Medien, um die damit erzielten Effekte bewerten und einordnen zu können,
  • Ausprägung einer vorsichtig kritisch-distanzierten Haltung zu Medien,
  • Erschließung und Nutzung von Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Medienproduzenten,
  • Befähigung und Motivation zur verstärkten Nutzung aller Medien im Lernprozeß,
  • Motivation und Schaffung von Voraussetzungen zur eigenen Medienproduktion.

Zusammenfassend ergibt sich als Gesamtziel die Heranführung der Schüler an eine kompetente Mediennutzung und -arbeit. Dazu sind die Schülerinnen und Schüler für folgende Aktivitäten zu befähigen und zu motivieren:

  • Medien bewusst auswählen und einschätzen,
  • Medien beurteilen und selbst gestalten,
  • Medien auswerten, beeinflussen und kreativ in ihr Leben integrieren und
  • die Bedeutung und Wirkung von Medien für die Gesellschaft und den einzelnen erkennen.

Elemente der genannten Zielvorstellungen sind in den gültigen Lehrplänen des Freistaates Sachsen bereits enthalten:

  • Sachgerechten Umgang mit Medien erlernen
  • Medienbeeinflußte Verhaltensorientierungen und Denkweisen aufarbeiten
  • In Worttexten eingesetzte sprachliche Mittel beurteilen lernen
  • Wirkungen und Möglichkeiten der modernen Kommunikations- und Informationstechnologien einschätzen
  • Einfluß der Medien auf Geschmack, Lebensgewohnheiten, Freizeitgestaltung und Urteilsbildung erörtern
  • Neue Möglichkeiten für den Einsatz des Computers über den Rahmen der Informatik hinaus kennenlernen
  • Bildgestaltung und deren Bearbeitung am PC kennenlerne
  • Eine Schülerzeitung mit DTP-Programmen herstellen
  • Multimediale Projekte er- und bearbeiten lernen
  • Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch Massenmedien erkennen
  • Einsicht in den besonderen Charakter der Presse erhalten
    (Aufmachung, Inhalte, Meinungsbeeinflussung, Wecken von Gefühlen)
  • Trivialisierung und Banalisierung mittels medialer Ausdrucksformen (z.B. Infotainment) erkennen
  • Möglichen Mißbrauch der Medien beurteilen (z.B. in der Darstellung von Gewalt, Terror, Verletzung der Menschenwürde)
  • Einblicke in formale Gestaltungsmittel von Medien gewinnen
  • Vermögen zu künstlerischer und ästhetischer Gestaltung entwickeln
  • Umgang mit Tonband, Mikrofon, Fotoapparat, Videokamera erlernen
  • Gattungsübergreifendes Gestalten (Foto, Video, Film) üben
  • Gestalterische Möglichkeiten der Bild- und Filmsprache kennen und anwenden
  • Kleinere Hörspiele und Videoclips herstellen
  • Ziele, Mittel, Wirkungen von Werbung erkennen lernen
  • Auseinander setzen mit Werbeprospekten und Zeitungsberichten üben
  • Erleben, dass es neben dem Fernsehen noch wichtige alternative Freizeitmöglichkeiten gibt (z.B. Bücher!)
  • Gesellschaftliche und institutionelle Bedingungen von Medienproduktionen kennenlernen
  • Begegnung mit Medienproduzenten (Lokalredaktionen) erleben
2.2
Methoden

Im Rahmen von Erfahrungs- und Handlungsorientierung als übergreifendem Prinzip soll für Medienerziehung von folgenden Grundorientierungen der Unterrichtsmethoden ausgegangen werden: 3)

1.
Situationsorientierung
Ausgangspunkt für medienerzieherische Prozesse sollen Situationen aus der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen sein, und das zu Lernende soll auf gegenwärtige und künftige Lebenssituationen bezogen werden.
2.
Kommunikationsorientierung
Medienerziehung soll in kommunikativer Weise gestaltet werden und zu einer Erweiterung der Möglichkeiten sprachlicher und schriftlicher Ausdrucksweisen führen.
3.
Bedürfnisorientierung
Die mit der Mediennutzung verbundenen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen sollen akzeptiert und geformt werden.
4.
Erfahrungsorientierung
Kinder und Jugendliche sollen die Chance haben, ihre bisherigen Erfahrungen in medienerzieherische Prozesse einzubringen.
5.
Entwicklungsorientierung
Medienerziehung geht vom jeweiligen Stand der sozial-kognitiven Entwicklung der Rinder und Jugendlichen aus und fördert deren Weiterentwicklung.

Neben unabdingbaren theoretischen Ansatzpunkten soll die medienpraktische Arbeit und nach Möglichkeit die Begegnung mit Medienproduzenten im Mittelpunkt stehen.
Die Möglichkeit einer sinnvollen Organisation der Medienerziehung auf der Basis des fächerübergreifenden Prinzips bei gleichzeitiger starker Handlungsbetonung ist bei Beibehaltung der herkömmlichen Unterrichtseinheiten von 45 Minuten Dauer wegen der häufigen Unterbrechungen nicht mehr gegeben. Deshalb wird zur Erprobung neuer Organisationsformen mit dem Ziel der Durchführung inhaltlich und zeitlich umfangreicherer Projekte ein flexibel zu gestaltender aber geplanter expliziter Sachbereich „Medienpraxis“, der über das Schuljahr verteilt wird, vorgesehen.
Der Schwerpunkt muß in einer betonten Handlungsorientierung liegen, die durch Entfernung vom Frontalunterricht hilft, neben Medienkompetenz zu Schlüsselqualifikationen wie: Fachkompetenz (Fähigkeit, fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten anwenden zu können), Methodenkompetenz (Fähigkeit, sich selbständig neue Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen zu können) und Sozialkompetenz (Teamfähigkeit)4) zu führen. Gerade Medienerziehung ist mit ihren vernetzten Strukturen und Inhalten sehr gut in der Lage, solche Kompetenzen auszuprägen.
Theoretische Grundlagen sollten insoweit gelegt werden, als sie für die handelnde Beschäftigung mit dem medienrelevanten Bezug notwendig sind. Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten sollen sich in erster Linie aus der handelnden Auseinandersetzung mit Medienprodukten ergeben. Für den Lehrer bedeutet das, dass er eine große Methodenvielfalt entwickeln muß, die vom spielerischen Vermitteln (etwa eines Werbespots) über das aktive Gestalten (etwa einer Schülerzeitung oder eines Videoclips) führt.

3
Organisation der schulischen Medienerziehung
3.1
Grundlagen

Für die Umsetzung des vorliegenden Konzeptes „Schulische Medienerziehung im Freistaat Sachsen“ wird auf folgende Unterrichtsformen orientiert:

  • Medienerziehung erfolgt integrativ als Unterrichtsprinzip
  • Medienerziehung erfolgt verstärkt durch einen projektorientierten Sachbereich

Das Konzept betont in allen Klassenstufen grundsätzlich den integrativen Ansatz der Medienerziehung, unterstützt und verstärkt diesen jedoch in verschiedenen Klassenstufen (zunächst 7 und 8) durch einen projektorientierten, expliziten Sachbereich „Medienpraxis“.

3.1.1
Integrative Medienerziehung als Unterrichtsprinzip

Die integrative Form der Medienerziehung als (traditionelles) Unterrichtsprinzip erfolgt in allen Schularten, in allen Klassenstufen im Zusammenhang mit den Vorgaben der Lehrpläne in allen Unterrichtsfächern. Langfristig muß es dabei darum gehen, die aus den Lehrplänen erwachsenden medienerzieherischen Aktivitäten für die einzelnen Altersgruppen und in den verschiedenen Fächern noch besser aufeinander abzustimmen. Anzustreben sind dabei – unter Berücksichtigung der jeweils gegebenen pädagogischen und lokalen Situation (Nähe zu Medienproduzenten, Kreismedienstellen, Freien Trägern der Jugendarbeit usw.) – die Entwicklung von spezifischen Schulkonzeptionen der Medienarbeit.
Durch das perspektivisch anzustrebende fächerübergreifende Verschmelzen verschiedener Fachinhalte wird das integrative Prinzip weiter an Bedeutung gewinnen.

3.1.2
Einführung des expliziten Sachbereiches „Medienpraxis“

Als ein zu erprobendes Instrument soll integrative Medienerziehung zunächst in den Klassen 7 und 8 durch den eigenständigen Sachbereich „Medienpraxis“ ergänzt und intensiviert werden. Damit soll Vorangegangenes komprimiert, gebündelt und zusammengeführt werden.
Damit wird einer dem integrativen Unterrichten zwangsläufig anhaftenden „Kleinschrittigkeit“, die jeweils nur ein punktuelles Vorgehen erlaubt, entgegengewirkt. Auf diese Weise kann den erhöhten Anforderungen, die die Medienumwelt an Schüler und Lehrer stellt, besser Rechnung getragen werden. Es werden bessere Voraussetzungen für die weitere Anwendung des integrativen Prinzips geschaffen.

3.2
Medienerziehung als Schulart- und fächerübergreifendes Element
3.2.1
Grundschule

Da die Fächerstruktur in der Grundschule noch nicht deutlich ausgeprägt ist, kann Medienerziehung integrativ als Unterrichtsprinzip und auch interdisziplinär anhand der in den Lehrplänen verankerten Ansätze erfolgen.
Im integrativen Unterricht sollte es vor allem darum gehen, die aktive Wahrnehmung (Erleben mit allen Sinnen) zu fördern und Hilfen zur Verarbeitung von Eindrücken zu geben. Über eine kreative und spielerische Auseinandersetzung mit dem Fernsehen durch Malen, Zeichnen oder Rollenspiel erfahren die Schüler eigene Gestaltungs- und Wirkungsmöglichkeiten. Sie lernen verschiedene Zeichensysteme kennen und erleben den Einfluß der Medien auf Gefühle und Vorstellungen.
Lernprogramme mit dem Computer und die bewußte Einbeziehung von Videospielen sollen Grundschülern – über didaktische Zweckbestimmungen hinaus – ganz selbstverständlich die Bedeutung elektronischer Medien auch in der Schule bewusst machen.
Dabei sollen folgende Schwerpunkte Berücksichtigung finden:

  • Vor- und Nachteile des Fernsehens in der Freizeit
  • ganzheitliche Wahrnehmungsschulung für bewußte Medienrezeption
  • Möglichkeiten der Verarbeitung von Medienaussagen
  • Möglichkeiten der Meinungsäußerung zu Medien und in Medien
  • Nutzung medialer Vorlagen (Bilder, Zeitungen, Comics) für Schule und sinnvolle Freizeitgestaltung (Lesen, Malen, Zeichnen, Ausschneiden, Sammeln, Rollenspiel usw.) 5)
3.2.2
Mittelschule/Gymnasium – Klasse 5/6

Eine Synopse aller Lehrpläne des Freistaates Sachsen hat ergeben, dass in den Fächern zahlreiche medienerzieherische Aufgabenstellungen enthalten sind. Dabei handelt es sich in der Hauptsache um die Fächer:

  • Deutsch
  • Ethik
  • Musik
  • Kunsterziehung

Auch die Lehrpläne der Natur- und Gesellschaftswissenschaften beinhalten eine Reihe von medienpädagogischen Ansätzen.
In den Klassen 5 und 6 wird der spielerisch-kreative Umgang mit Medienangeboten zunehmend durch eigene Produktionsversuche ersetzt. Dabei sollen die Schüler lernen, genau zu beobachten, einer Sache auf den Grund zu gehen. Dem Gespräch über die Suggestivkraft und Faszination der Medien und dem Gedankenaustausch zum Medienerleben kommen eine große Bedeutung zu.
Die Fähigkeit, „hinter die Dinge“ zu blicken, kritisch distanzierend zu analysieren, wird entwickelt. Die Schüler erlangen Einblicke in die Machart von Medienerzeugnissen und erfahren an Beispielen (z. B. in der Werbung) das Zusammenspiel von Absicht und Medienwirkung.
Ausgehend von diesen Ansätzen und aus den Lehrplanbezügen ergeben sich für den Unterricht u. a. folgende Aufgaben:

  • Sachgerechter Umgang mit Printmedien (Arten von Zeitungen, Jugendzeitschriften), Bilder in Printmedien
  • Darstellen der Bildhaftigkeit von Sprache
  • Bewußte Wahrnehmung von Werken der bildenden Kunst (Sinnes- und     Wahrnehmungsschulung)
  • Entwicklung von Sensibilität im Umgang mit Musikmedien auf der Grundlage differenzierter Wahrnehmung
  • Kennenlernen elektro-akustischer Aufnahme- und Wiedergabegeräte (Umgang mit Heimelektronik)
  • Bildentstehung an einfachen optischen Geräten
  • Bedeutung der Fotografie für Wahrnehmung und Dokumentation
  • Umgang mit Personalcomputern
  • Rolle, Möglichkeiten und eigene Gestaltung von Werbung bzw. Werbeanzeigen
3.2.3
Mittelschule/Gymnasium – Klasse 7/8

Modellhaft und schrittweise soll die Einführung eines Sachbereiches „Medienpraxis“ additiv zur Integration (zunächst versuchsweise) erfolgen.
Die Bedeutung dieser „Medienpraxis“ ist durch folgende Zielstellungen gekennzeichnet:

a)
Durch die Verbindung von Fachinhalten mit medienerzieherischen Inhalten und Zielen wird der fächerübergreifende Ansatz verwirklicht.
b)
Die Arbeit im Sachbereich erfolgt auf der Grundlage von eigens dafür konzipierten Plänen, die neben den Fachinhalten die medienerzieherischen Ziele und die organisatorischen Grundlagen enthalten. Innerhalb der Projektarbeit gehen von der Projektgruppe neue Impulse zur weiteren Gestaltung der Arbeit aus.
c)
Die Unterrichtsmethoden sollen sich durch eine starke Betonung der Handlungsorientierung deutlich von anderen Fächern unterscheiden.
d)
Entsprechend dem integrativen Ansatz in der Medienerziehung 6) müssen alle Medien bewertet und entsprechend ihrer jeweiligen Eignung in den Unterrichtsprozeß einbezogen werden, so dass ein „Alphabetisierungsprozeß“ für alle Medien als Ziel erkennbar wird.
e)
Mit der Einführung des Gesamttextbegriffes und der Umsetzung der theoretischen Überlegungen zur Bildsprache wird der Weg des (Medien)-Alphabetisierungsprozesses aufgezeigt.
3.2.4
Mittelschule/Gymnasium – ab Klasse 9

Ein systematisches Konzept muß in diesen Klassenstufen ein kreatives Potential aufbauender und weiterführender Inhalte und Methoden vorsehen. In der Folge der Einführung des Sachbereiches „Medienpraxis“ wird ein Rahmenplan für weiterführende Projekte mit entsprechenden Anleitungen erarbeitet.
Die Vertiefung und Festigung der im Sachbereich „Medienpraxis“ erworbenen Fähigkeiten und gewonnenen Erkenntnisse zu Medien kann ab der Klassenstufe 9 auch anhand spezieller Praxisbausteine erfolgen, z. B. durch:

  • Besuche und Mitarbeit in Zeitungs- und Rundfunkredaktionen
  • Besuche und Mitarbeit in Tonstudios
  • Besuche und Mitarbeit beim Fernsehen
  • Mitarbeit in entstehenden Offenen Kanälen
  • Besuche und Mitarbeit in Werbeagenturen
3.2.5
Berufsbildende Schulen

Die Befähigung zum mündigen Verhalten gegenüber Medienangeboten, das Vermögen, Wirkungsweisen und Einflußmöglichkeiten von Medien zu erkennen, gehören zu den Kernbereichen beruflicher Bildung. Daraus folgt die Forderung nach der Betonung der bewußten Nutzung von Medien unter fachlichen Aspekten im Hinblick auf die berufliche Ausbildung. Medienerziehung ist im beruflichen Bereich besonders als Bildungsfaktor zu betrachten, der die fachliche, politische und ökonomische Kompetenz erhöht.
In der beruflichen Bildung steht deshalb neben der allgemeinen Integration der Medien in den Lehr- und Lernprozeß die spezielle berufsbezogene Nutzung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien im Mittelpunkt.
Es wird auf den Vorleistungen der Mittelschulen bzw. der Gymnasien auf dem Gebiet der aktiven Mediennutzung aufgebaut.

3.2.6
Freizeitbereich und Arbeit mit den Eltern

Medienerziehung darf nicht auf Schule allein begrenzt bleiben. Anzustreben ist im Freizeitbereich eine Kooperation mit:

  • Freien Trägern (Nutzung sozio-kultureller Jugendarbeit, Medieninitiativen, Medienworkshops usw.)
  • Foto- und Filmzirkeln
  • Literatur- und Theaterzirkeln
  • Kreismedienstellen

Darüber hinaus sollten Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Eltern auf dem Gebiet der Medienpädagogik gefunden werden, um verstärkt Freizeiteffekte nutzen zu können (z. B. Schulungen für die Eltern organisieren, Hinweise in den Elternabenden). Zu denken ist auch an die Einbeziehung von Eltern in schulische Projekte bzw. das Nutzen ihrer Erfahrungen im Umgang mit Medien.

4
Rahmenbedingungen für schulische Medienerziehung
4.1
Lehrplanarbeit und Gestaltung der Rahmenpläne

Lehrpläne sollen perspektivisch so gestaltet sein, dass auf allen Ebenen schulischer Medienerziehung für die Lehrerinnen und Lehrer Anliegen (Zielstellung), Inhalte und Methoden deutlich werden. Für die integrative Medienerziehung sind diese Aspekte sichtbarer als bisher herauszuarbeiten. Dabei sind Querverbindungen zwischen den Fächern herzustellen, z.B. Verbindung Deutsch, Kunsterziehung und Musik (Klasse 9) für die medienspezifische Literaturvermittlung; Deutsch; Sachunterricht, Zeichnen (Klasse 4) zu Möglichkeiten der Verarbeitung von Medienaussagen usw.
Dem Sachbereich „Medienpraxis“ ist bei der inhaltlichen Konzipierung besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Dabei muß

  • wohlausgewogen zu Kenntnissen und Fähigkeiten aus dem integrativen Unterricht und
  • alterspezifisch und interessengeleitet

ein Fundament zu den darauffolgenden Schuljahren gelegt werden.
Aufgrund der Innovation des Sachbereiches sind Lernziele, Inhalte und Methoden mit besonderer Deutlichkeit darzustellen. Dabei soll auch auf spezifische Möglichkeiten (Nähe zu Medienproduzenten, Fähigkeiten und Neigungen der Lehrerinnen und Lehrer usw.) Rücksicht genommen werden. In den eigens dafür zu gestaltenden Rahmenplänen werden diesbezüglich genügend Freiräume geschaffen.
Der Rahmenplan „Medienpraxis“ ist so zu gestalten, dass allgemeine Ziele, Aufgabenbereiche und Inhalte deutlich werden. Die Umsetzungsmöglichkeiten werden in Projektvorschlägen veranschaulicht, die ein fachliches und strukturelles Gerüst für die Medienerziehung im Sachbereich geben. Festlegungen zu Zielen, Inhalten und Aufgaben sowie didaktischen Grundsätzen tragen dabei verbindlichen Charakter. Darüber hinaus wird jedoch eine grundsätzliche Offenheit gegenüber neuen Erkenntnissen, technischen Entwicklungen und praktischen Erfahrungen ausdrücklich angestrebt.

4.2
Befähigung der Lehrerinnen und Lehrer

Schulische Medienerziehung ist ohne dafür qualifizierte Lehrer nicht möglich. Auch in Sachsen müssen Lehrer deshalb auf die veränderte Bildungssituation vorbereitet werden. Inhaltlich geht es dabei um grundlegende Kompetenzen, zu denen folgende Fähigkeiten gehören:

  • Die Medienwelt von Kindern und Jugendlichen kennen und in ihrer Vielfalt erfassen,
  • Möglichkeiten eröffnen, um über Medienerleben (Gehörtes, Gesehenes, Gelesenes und Geschehenes) zu sprechen,
  • aktuelle Medienangebote, deren Beschaffenheit, Produktionsbedingungen und Wirkungsmöglichkeiten analysieren können,
  • handwerklich-technische Fähigkeiten entwickeln, um Schüler selbst Medienprodukte herstellen zu lassen. 7)

Neben einer fundierten theoretischen Ausbildung müssen Lehrer auch Möglichkeiten praktischen Gestaltens erhalten. Journalistische Praktika bei Rundfunk, Fernsehen oder Zeitung leisten u.U. mehr für ein Medienverständnis als rein theoretische Exkurse.
Da ein möglichst rascher Multiplikationseffekt für medienerzieherische Fortbildung erzielt werden muß, werden in Sachsen verstärkt Lehrer fortgebildet, die gleichzeitig Leiter von Kreismedienstellen sind. Das hat den Vorteil, dass hier Fortbildung nicht während der Ferienzeiten erfolgen muß. Eine sächsische Verwaltungsvorschrift verpflichtet Medienstellenleiter zu verstärkter medienpädagogischer Arbeit.
Wesentliche Unterstützung zur Fortbildung auf dem Gebiet der schulischen Medienerziehung leisten die Sächsische Akademie für Lehrerfortbildung, in Sachsen ansässige Universitäten, Medienproduzenten, Medienzentren und – nicht zuletzt ! – die freien Träger der Jugendarbeit.

4.3
Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien

Entsprechend der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien wird der Einsatz des Computers mit seinen umfangreichen Möglichkeiten der Gestaltung, der Interaktion und Kommunikation bei der Medienerziehung als sehr wichtig eingeschätzt. Insbesondere müssen die multimedialen Potenzen, die sich aus der organischen Verbindung verschiedener bisher isolierter Medienarten ergeben, verstärkt in die Betrachtungen einbezogen werden.
Der Computer wird im Zusammenhang mit entsprechender Software in erster Linie als Werkzeug betrachtet. Sein Einsatz muß fächerübergreifend intensiviert werden. Dem kann u.a. durch den Einsatz von (Experimentier-Umgebungen, die Simulationen komplexer Zusammenhänge und Prozesse gestatten, Rechnung getragen werden.
Die verantwortungsvolle Nutzung neuer Möglichkeiten der Kommunikation sowie Informationsbeschaffung über weltweite Netzwerke verlangen geradezu die Befähigung zur kritischen Auswahl und Verwertung von Informationen.
Für einen derartigen Einsatz des Computers in der Schule ergeben sich einerseits Grenzen durch die gegenwärtige Ausstattung, aber auch Forderungen für die Zukunft.
Medienpädagogisch bedeutsam sind in diesem Zusammenhang u.a. folgende Inhalte:

  • Filmbearbeitung am PC (Trick- und Realfilm)
  • Desktop Publishing (DTP) zum Erstellen von Schülerzeitungen
  • Arbeit in Netzen, z.B. globaler Datenaustausch zu Umweltproblemen etc.
  • Allgemeiner Kommunikationsaustausch mit dem Ziel der Informationsbeschaffung und -verwertung
5
Schlußbemerkung

Das vorliegende Konzept soll einerseits das Bewusstsein dafür schärfen, dass Medienwelt immer stärker zur „Bildungswelt“ wird und andererseits Grundlagen für inhaltliche und strukturelle Bedingungen einer effektiveren Erziehung in der Schule aufzeigen.
Das Konzept zur schulischen Medienerziehung im Freistaat Sachsen soll Lehrerinnen und Lehrern, Eltern, Schülern und darüber hinaus allen Bildungsträgern Orientierung und Handlungshilfen bei der Gestaltung von Medienerziehung geben.
Das Konzept ist langfristig angelegt und fordert lehrplanmäßige Verankerungen mit fächerübergreifenden Verknüpfungen.
Die Inhalte und Ziele werden verbindlich festgelegt. Damit wird eine Voraussetzung geschaffen, dass Medienerziehung in den Schulen zum festen Bestandteil allgemeiner Bildung wird.

Das Konzept bleibt offen für Anregungen und Erfahrungen und wird entsprechend fortgeschrieben.

Durch diese 2.Bekanntmachung wird die Bekanntmachung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zum gleichen Sachverhalt vom 12. Juli 1994 (Amtsblatt des SMK 16/94 vom 13. August 1994 S. 446) ersetzt.

Dr. Matthias Rößler
Staatsminister

Literaturhinweise

1)
Christian Doelker: „Kulturtechnik Fernsehen – Analyse eines Mediums“;Klett – Cotta, Stuttgart 1991
2)
Christian Doelker: Referat im Rahmen des 4. Medienpädagogischen Gesprächs der Bertelsmann Stiftung,Gütersloh, 12. Mai 1993
3)
Gerhard Tulodziecki „Medienerziehung in Schule und Unterricht“,    Klinkhardt, 1992
4)
nach Golas, Heinz, „Berufs- und Arbeitspädagogik für Ausbilder“,Cornelsen, 1992
5)
Tulodziecki/Schlingmann/Mose/Herzig/Hauf-Tulodziecki „Handlungsorientierte Medienpädagogik in Beispielen“, Klinkhardt, 1995
6)
Christian Doelker: „Medienpädagogik – Integrativer Ansatz“; Zeitschr. „Achtung Sendung“, Interkantonale Lernmittelzentrale Luzern, Jahrgang 4/1990
7)
BLK Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung, Heft 44 „Medienerziehung in der Schule“, Orientierungsrahmen