Gemeinsame Empfehlung
des Sächsischen Staatsministeriums
für Soziales, Gesundheit und Familie
und des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus
zur Zusammenarbeit von Kindergarten, Grundschule und Hort

Vom 13. Februar 1999

1
Grundsätzliches

Kindergarten, Grundschule und Hort sind als eigenständige, aber miteinander korrespondierende Einrichtungen zur Vermittlung von Erziehung und Bildung für die Kinder und auch deren Eltern wichtige Lebens- und Lernorte. Sie nehmen mit ihren ganzheitlich orientierten pädagogischen Konzepten entscheidenden Einfluss darauf, dass sich Kinder zu eigenverantwortlichen, gemeinschaftsfähigen und leistungsbereiten Persönlichkeiten entwickeln können.
Kindergarten und Hort sind als Tageseinrichtungen für Kinder institutionell der Kinder- und Jugendhilfe zugeordnet. Sie halten entsprechend ihrer Zielsetzung und Aufgabenstellung ein sozialpädagogisch orientiertes, plurales Angebot durch Träger der freien und öffentlichen Jugendhilfe bereit. Der Besuch des Kindergartens und des Hortes ist freiwillig. Jedes Kind hat vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Beginn der Schulpflicht einen individuellen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Für Kinder im Grundschulalter gibt es eine Vorhaltepflicht von Hortplätzen. Das heißt: Das Platzangebot des Hortes soll dem tatsächlichen Bedarf an Hortplätzen entsprechen.
Kindergarten und Hort sind familienergänzende und -unterstützende sozialpädagogische Einrichtungen. Ihre Aufgabe besteht darin, über den Kreis der Familie hinaus den Kindern zu helfen, ihre kreativen, musischen, psychosozialen, kommunikativen und kognitiven Kompetenzen in der Kindergruppe zu entdecken und einsetzen zu lernen. Dabei ist dem Bedürfnis der Kinder nach spielerischer Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt genügend Raum und Zeit zu geben.
In diesem Prozess kommt auf Grund der problematischen Entwicklung von Sprachauffälligkeiten und Wahrnehmungsstörungen im Einschulungsalter der kindorientierten Sinnesschulung, der sicheren Ausprägung der Grob- und Feinmotorik sowie der Förderung der Sprachentwicklung herausragende Bedeutung zu.
Der Hort bietet den Schulkindern an, neben den unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Veranstaltungen der Schule, ihre freie Zeit – insbesondere am Nachmittag – unter Beachtung ihrer individuellen Bedürfnisse und Freizeitinteressen in der Gruppe sinnvoll zu gestalten. Dabei ist es entscheidend, auf der Förderung des Kindergartens aufzubauen, an den Forderungen der Schule anzuknüpfen und aktuelle Erlebnisse der Kinder aufzugreifen. Jedoch darf sich der Hort weder einseitig für Hausaufgabenhilfe instrumentalisieren lassen noch darf er in der Hausaufgabenhilfe seine vorrangige Aufgabe sehen.
Die Grundschule sieht sich in der Einschulungsphase Kindern gegenüber, die überwiegend in Tageseinrichtungen für Kinder über mehrere Jahre hinweg gefördert worden sind. Viele Kinder bringen gemeinsame Vorerfahrungen aus der Kindergartenzeit mit in die Schule ein. Auch gemeinsame Erlebnisse aus dem Hort haben ihre Auswirkungen auf den schulischen Lernprozess.
In der Übergangsphase vom Kindergarten zur Grundschule und zum Hort zielen die pädagogischen Bemühungen darauf, die Übergänge möglichst ohne „Brüche“ zu gestalten.
Damit Kontinuität im kindlichen Bildungsprozess gelingen kann, ist es unabdingbar, dass:

die betreffenden Einrichtungen möglichst genaue Kenntnis hinsichtlich der Bildungs- und Erziehungsziele voneinander haben,
sie von den Methoden und Arbeitsformen der jeweils anderen Einrichtungen wissen und
einen wechselseitigen Einblick in die Struktur der Einrichtung nehmen.

Für den Aufbau eines guten psychosozialen und lernorientierten Klimas ist von entscheidender Bedeutung, wie die Kinder ihren künftigen Pädagogen erstmals begegnen und wie die erste Kontaktaufnahme gestaltet wird. Denn davon hängt meist ab, ob und wie eine tragfähige Beziehung aufgebaut werden kann. Hierbei spielt auch eine wesentliche Rolle, wie Eltern und Pädagogen miteinander umgehen. Die Atmosphäre des Miteinanders ist dabei nicht Selbstzweck, sondern unterstützt den Lern- und Entwicklungsprozess der Kinder nachhaltig. Ebenso ist es für jeden Pädagogen wichtig, den Kollegen aus der eigenen Schule oderder Tageseinrichtung und auch den Kollegen aus dem jeweils anderen Bereich als gleichwertigen Gesprächspartner anzunehmen und mit ihm das gemeinsame pädagogische Bemühen um die Förderung des einzelnen Kindes in den Vordergrund zu rücken.
Übergangsbrüche können vermieden werden, wenn es gelingt, in Familie und Kindergarten frühzeitig über die Veränderungen offen zu sprechen und wenn das zu erwartende Neue als etwas Notwendiges und Schönes thematisiert wird. Jedes Kind wird die Veränderung von der Freiwilligkeit des Kindergartens hin zur Schulpflicht um so leichter mitgestalten, je selbstverständlicher es den Besuch des Kindergartens für sich selbst erfahren und angenommen hat.

2.
Die Beziehungen der Einrichtungen zueinander

In den günstigen Fällen, wo sich Kindergarten und Hort unter einem Dach befinden, in denen oftmals die Erzieherinnen aus dem Kindergarten auch die Bezugspersonen im Hort sind, kommen beim Wechsel von Kindergarten zum Hort Übergangsbrüche seltener vor. Der Wechsel gleicht einem Staffellauf – eines baut in vertrauter Umgebung direkt aufs andere auf – wobei Selbstständigkeit und Verantwortung der Kinder zunehmen. Die sehr komplexe Aufgabe des Kindergartens bei der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes wird nun von Schule und Hort je nach Spezifik gemeinsam getragen.
Das Kind erlebt den Wechsel vom Kindergarten zum Hort dann als wesentlich einschneidender, wenn der Hort – wie die Schule – eine neue bisher nicht bekannte Einrichtung darstellt. Inhalte und Arbeitsmethoden des Hortes sind denen des Kindergartens vergleichbar, jedoch ergeben sich aus den neuen Bezugspersonen, den neuen Anforderungen von Schule und der neuen Umgebung für die Kinder neue Erfahrungen. Die einfühlsame Begleitung durch Pädagogen aus Kindergarten und Hort kann hier Übergangsschwierigkeiten leicht abfedern helfen.
Der Übergang vom Kindergarten zur Grundschule zeigt sich anders. Das Schulkind erlebt den Wechsel von einem bekannten und verinnerlichten Bereich hin zu einem von innen heraus bislang noch nicht erfahrenen und insofern unbekannten Bereich. Dieses Unbekannte kann und sollte positive Neugier wecken, es kann aber auch Unsicherheit und Angst hervorrufen. Genau hier setzt die gemeinsame Aufgabe von Elternhaus, Kindergarten, Schule und Hort an, dem Kind die notwendige innere Stabilität zu vermitteln, damit es den neuen schulischen Herausforderungen in froher Erwartung begegnen kann.
Beim Zusammenspiel von Grundschule und Hort sprechen wir bezeichnenderweise nicht von einem Übergang, auch nicht im Sinne einer dauerhaften täglichen Abfolge. Vielmehr stehen diese beiden Einrichtungen in einem aufeinander verwiesenen Wechselverhältnis. Ihre jeweils eigenständigen Angebote sollten stets aufeinander bezogen sein und den Entwicklungs- und Lernprozess der Kinder fördern.
Dabei ist folgendes zu bedenken: Lehren und Lernen in verschiedenen pädagogischen Einrichtungen vollziehen sich in unterschiedlicher, aber aufeinander bezogene Weise. Lernen im Hort zielt – wie zuvor schon im Kindergarten – vorrangig auf soziales Lernen. Wesentliches Medium ist das Spiel. Gelenkt wird der Lernprozess durch eine sozialpädagogisch ausgerichtete eher indirekte Methodenwahl. Das Bildungs- und Erziehungsangebot des Hortes kann somit sowohl den schulischen Auftrag als auch das schulische Lernen wesentlich unterstützen, ohne dadurch eine eigenständige Hortarbeit zu gefährden.
Umgekehrt kann die Schule mit ihrem stärker zielgerichtet und auf bewusstes Lernen ausgerichteten Unterricht und ihrem Fächerkanon auch die Arbeit des Hortes beflügeln. Das gelungene Zusammenspiel beider Einrichtungen wird zunehmend an Bedeutung gewinnen, weil dadurch ganzheitliches Lehren und Lernen – im Sinne Pestalozzis „mit Kopf, Herz und Hand“ – im Interesse einer bestmöglichen Förderung und Forderung der Schulkinder verwirklicht werden kann.

3.
Das gemeinsame pädagogische Anliegen – Ziele und Aufgaben

Wir wissen, dass Kinder von Geburt an hochmotiviert und mit großer Energie versuchen sich ein Bild von der Welt zu machen und dabei sehr intensiv und mit großer Ausdauer lernen. Kindergarten und Hort werden außerhalb der Familie mit dieser Lern- und Wissbegier der Kinder konfrontiert. Beide Einrichtungen müssen sich deshalb Rechenschaft darüber ablegen, ob sie die Neugier der Kinder ermutigen und Lern- und Entwicklungsprozesse ermöglichen, ob sie die Kinder angemessen unterstützen und sie zu komplexeren Erfahrungen mit unserer Welt führen.
Die Grundschule muss sich Rechenschaft darüber geben, ob sie den pädagogisch unterschiedlichen Konzepten der Kindergärten und den damit breiter gefächerten Voraussetzungen der Kinder bei Schuleintritt genügend Beachtung schenkt und ihre pädagogischen Konzepte ausreichend auf die Individualität der Kinder orientiert.
Folgende Ziele und Aufgaben sollten für Kindergarten, Hort und Grundschule stärker in den Mittelpunkt rücken:

Das natürliche und intensive Streben der Kinder ist lebendig zu halten oder zu wecken; dabei ist der Selbstständigkeit und Motivation ein hoher Stellenwert einzuräumen.
Durch vielfältige Sinneserfahrungen sind ein differenzierter Erlebnishintergrund zu schaffen und das Interesse der Kinder zu nutzen, im unmittelbaren Lebensumfeld die Welt und ihre Zusammenhänge zu erkennen.
Mit den Kindern sind vielfältige Möglichkeiten auszuschöpfen um die Sprachfähigkeit und den Umgang mit der Muttersprache zu entwickeln. Die sozialen Beziehungen der Kinder untereinander und zu den Erwachsenen bilden dabei das wichtigste Lernfeld.
Dem Bewegungsdrang der Kinder ist ausreichend Raum zu geben; dabei ist der Ausprägung von Fein- und Grobmotorik besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Jugendärztlichem Dienst, Eltern, Kindergarten, Hort und Grundschule setzen pädagogische Frühförderung und Therapie so früh wie möglich ein, damit sich beim Kind Entwicklungsverzögerungen nicht verfestigen.
Durch eine längerfristig angelegte Vorbereitung der Schuleingangsphase wird der Übergang der Kinder von einer Einrichtung in die andere durch Erzieherinnen und Lehrerinnen begleitet, wird gemeinsam nach effektiven, interessanten und freudvollen Lernformen gesucht, die frei sind von Prüfungssituation. Zum Erkennen und Fördern der Schulfähigkeit werden regionale Konzepte entwickelt, wobei die Grundschule die Initiative übernehmen sollte.

Kindergarten, Hort und Grundschule profitieren durch neue Formen spielerischen und selbst gesteuerten Lernens voneinander und entwickeln ihre methodisch-pädagogische Professionalität weiter.
Kindergarten, Hort und Grundschule sind als Institution mit zwar eigenem Profil, aber mit gemeinsamem Auftrag dazu aufgefordert, dauerhafte Kooperation unter Einbeziehung der Eltern aufzubauen und einen kontinuierlich voranschreitenden Bildungs- und Erziehungsprozess von Kindern zu ermöglichen und mit den jeweils eigenen Mitteln zu fördern.

Dresden, den 13. Februar 1999

Der Staatsminister
für Soziales, Gesundheit und Familie
Dr. Hans Geisler

Der Staatsminister
für Kultus
Dr. Matthias Rößler