Verwaltungsvorschrift
des Sächsischen Staatsministeriums des Innern
für Bedienstete des Freistaates Sachsen über den Rechtsschutz in Straf- und anderen Verfahren
(Rechtsschutz-VwV)
Vom 30. November 1994
Im Einvernehmen mit dem Sächsischen Staatsministerium der Finanzen ist bei der Gewährung von Rechtsschutz für Bedienstete des Freistaates Sachsen wie folgt zu verfahren:
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- Allgemeines
Ist gegen einen Landesbediensteten wegen einer dienstlichen Tätigkeit oder eines Verhaltens, das mit einer dienstlichen Tätigkeit im Zusammenhang steht, ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft, die öffentliche Klage im strafgerichtlichen Verfahren, Privatklage (§ 374 StPO) oder Nebenklage (§ 395 StPO) erhoben, der Erlass eines Strafbefehls beantragt, ein Bußgeldverfahren eingeleitet oder ein Bußgeldbescheid erlassen worden, so kann ihm ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs auf seinen schriftlichen Antrag zur Bestreitung der notwendigen Kosten seiner Rechtsverteidigung ein zinsloses Darlehen gewährt werden. Dies gilt auch für eine Ladung vor einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Als Landesbedienstete im Sinne dieser Verwaltungsvorschrift gelten Beamte und Ruhestandsbeamte, Richter und Richter im Ruhestand, Angestellte und Arbeiter sowie ehemalige Angestellte und Arbeiter des Landes.
Steht der Bedienstete dem Dienstherrn in einem Verfahren gegenüber, wird dem Bediensteten kein Rechtsschutz gewährt. Rechtsschutz kann jedoch im Nachhinein in Betracht kommen, wenn während oder nach Abschluss des Verfahrens eine andere Entscheidung erforderlich ist.
- 2
- Gewährung von Rechtsschutz
- 2.1
- Antrag
Der Antrag ist für jede Instanz beziehungsweise jeden neuen Verfahrensabschnitt mit dem in der Anlage beigefügten Formular neu zu stellen und auf dem Dienstweg der personalverwaltenden Stelle vorzulegen. Er soll enthalten
- a)
- das Aktenzeichen der Ermittlungsbehörde, der Verwaltungsbehörde oder des Gerichts,
- b)
- eine kurze Schilderung des Sachverhalts, die auch das Verteidigungsvorbringen enthalten muss,
- c)
- Abschriften oder Kopien bereits ergangener Entscheidungen.
- Der Antragsteller ist verpflichtet, über den Ausgang des Verfahrens unverzüglich zu berichten und die abschließende Entscheidung sowie die Kostenrechnung des Anwalts vorzulegen.
- 2.2
- Voraussetzung für die Gewährung
Voraussetzung für die Gewährung ist, dass
- 2.2.1
- ein dienstliches Interesse an einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung besteht. Ein dienstliches Interesse ist in aller Regel anzunehmen, wenn zum Beispiel
- a)
- die Erfüllung der Verwaltungsaufgabe durch die Rechtsschutzgewährung positiv beeinflusst bzw. gefördert wird,
- b)
- materieller oder ideeller Schaden vom Freistaat Sachsen abzuwenden ist,
- c)
- dem Bediensteten bei seiner amtlichen Tätigkeit im Rahmen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn Schutz zu gewähren ist oder
- d)
- bei einem Prozess ein besonderes öffentliches Interesse (zum Beispiel gemäß § 232 Abs. 2 StGB) besteht;
- 2.2.2
- die Verteidigungsmaßnahme (zum Beispiel Bestellung eines Verteidigers, Einholung eines Gutachtens) wegen der Besonderheit der Sach- oder Rechtslage geboten erscheint;
- 2.2.3
- nach den Umständen des Falles anzunehmen ist, dass den Bediensteten bei vor- sätzlichem Handeln kein Schuldvorwurf trifft, lediglich leichte Fahrlässigkeit vorliegt oder dass er bei schwerer Schuld aus besonderen Gründen schutzwürdig erscheint (Konfliktsituation);
- 2.2.4
- die Verauslagung der Kosten dem Bediensteten nicht zugemutet werden kann und
- 2.2.5
- von anderer Seite Rechtsschutz nicht zu erlangen ist.
- 3
- Notwendige Kosten
Als notwendige Kosten der Rechtsverteidigung sind im Falle der Bestellung eines Ver-teidigers die Gebühren und Auslagen (Vergütung) anzusetzen sowie darüber hinausgehend die Kosten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig sind. Eine Überschreitung der gesetzlichen Gebühr darf nur dann als notwendig anerkannt und bei der Bemessung des Darlehens berücksichtigt werden, wenn dies nach der Bedeutung der Angelegenheit sowie nach Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit gerechtfertigt erscheint. Die Kostenerstattung bei Überschreitung der gesetzlichen Gebühr durch Honorarvereinbarung ist nur als Ausnahme zulässig. Als weitere Voraussetzung muss in diesen Fällen die Fürsorgepflicht die Dar-lehensgewährung besonders gebieten. Bei erheblicher Überschreitung des gesetzlichen Gebührenrahmens hat die Behörde eine Bestätigung der Anwaltskammer über die Angemessenheit des Honorars einzuholen. In diesem Fall hat der Bedienstete den Antrag auf Gewährung eines Darlehens unmittelbar nach Beauftragung des Verteidigers, aber vor Abschluss der im Entwurf beizufügenden Honorarvereinbarung vorzulegen. Zahlungen dürfen erst nach Vorlage einer wirksamen Honorarvereinbarung geleistet werden.
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- Zumutbarkeit der Kostenübernahme durch den Antragsteller
Bei der nach Nummer 2.2.4 vorzunehmenden Prüfung sind die jeweiligen Bezüge (Dienstbezüge, Vergütung oder Lohn), die Versorgungsbezüge und die den Versorgungsbezügen gleichstehenden Bezüge zugrunde zu legen und den Kosten gegenüberzustellen. Dabei ist eine Abwägung im Einzelfall vorzunehmen; bei der Entscheidung sind Kriterien wie die Höhe der Dienstbezüge, Nebeneinkünfte des Bediensteten, das verfügbare Familieneinkommen, Vermögen (liquides), gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen usw. zugrunde zu legen. Maßgebend für die Abwägung ist der Zeitpunkt der Antragstellung.
- 5
- Zuständigkeit
Über den Antrag auf Rechtsschutz entscheidet die personalverwaltende Stelle oder die von der obersten Dienstbehörde benannte Stelle. Diese hat bei Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung die Einwilligung des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen einzuholen.
- 6
- Verzicht auf die Rückzahlung, Kostenerstattung
Im Falle eines Freispruchs wird auf schriftlichen Antrag des Bediensteten auf die Rückzahlung des Darlehens verzichtet, soweit der Bedienstete Kostenerstattung durch die Staatskasse oder einen Dritten nicht erlangen kann. Dies gilt auch bei Obsiegen des Bediensteten in einem Zivilrechtsstreit, wenn die grundsätzlich zu betreibende Durchsetzung des Anspruchs gegen den unterlegenen Prozessgegner erfolglos bleibt oder von vornherein offensichtlich aussichtslos ist.
Übersteigen die tatsächlichen und zur Rechtsverteidigung im Sinne von Nummer 3 notwendigen Kosten des Bediensteten den Darlehensbetrag, so können sie erstattet werden, soweit es nach einer Ermessensentscheidung im Einzelfall unbillig wäre, den Bediensteten hiermit zu belasten. Nummer 4 gilt entsprechend.
Das Gleiche gilt, wenn
- a)
- das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt oder nicht eröffnet wird oder
- b)
- der Bedienstete außer Verfolgung gesetzt wird
- und die Annahme gerechtfertigt ist, dass nach den Umständen des Einzelfalls kein oder nur ein geringes Verschulden vorliegt.
Der Antrag ist schriftlich innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung zu stellen und, wenn die Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung ist, dem Sächsischen Staatsministerium der Finanzen zur Einwilligung vorzulegen. Über den Antrag darf erst nach Vorlage einer spezifizierten Endabrechnung des Rechtsanwalts entschie-den werden.
Kosten, die dem Bediensteten dadurch entstehen, dass er auf Weisung des Dienstvorgesetzten einen Rechtsbehelf oder ein Rechtsmittel einlegt, sind ihm grundsätzlich zu erstatten.
Ansprüche auf Prozesskostenerstattung gegenüber Dritten bis zur Höhe des gewährten Darlehens sind an den Freistaat Sachsen abzutreten.
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- Rückzahlung durch den Antragsteller
Wurde das Darlehen unberechtigterweise gewährt oder übersteigt es die tatsächlichen Kosten, ist es vollständig bzw. der die Kosten übersteigende Betrag durch den Antragsteller binnen zwei Wochen nach Aufforderung zurückzuzahlen.
Wurde der Bedienstete verurteilt, hat er das Darlehen in angemessenen Raten zurückzuzahlen. Liegt nur ein geringes Verschulden vor, kann auf die Rückzahlung des Darlehens zu einem angemessenen Teil oder ganz verzichtet werden, soweit der Bedienstete Kostenerstattung (vgl. Nummer 6) durch die Staatskasse oder einen Dritten nicht erlangen kann und dies aus Gründen der Fürsorgepflicht geboten erscheint.
- 8
- Übernahme der Kosten auf den Staatshaushalt
In besonders begründeten Fällen können die notwendigen Kosten nach Maßgabe von Nummer 1, 3 und 4 auf Antrag auch dann auf den Staatshaushalt übernommen werden, wenn bis zum Abschluss des Verfahrens ein Antrag auf Gewährung eines Darlehens nicht gestellt oder abgelehnt worden war. Wenn der Bedienstete keinen Antrag stellt, liegt ein besonders begründeter Fall zum Beispiel dann vor, wenn der Bedienstete an der rechtzeitigen Stellung des Antrags aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen gehindert war oder wenn sein Dienstvorgesetzter ihm von der Stellung des Antrags abgeraten hat.
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- Pflichtversicherung für Kraftfahrzeuge
Unberührt bleibt ein Anspruch nach § 2 Abs. 2 des Gesetzes über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter in Verbindung mit § 150 Abs. 1 Satz 3 und 4 des Versicherungsvertragsgesetzes und ein auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen über den Schadensausgleich bei gefahrgeneigter Tätigkeit beruhender Anspruch des Bediensteten gegen seinen Dienstherrn oder Arbeitgeber auf Übernahme der notwendigen Kosten seiner Rechtsverteidigung und auf Freistellung von den ihm auferlegten gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten.
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- Durchsetzung eines vermögensrechtlichen Anspruchs im Strafverfahren
Gegebenenfalls soll ausdrücklich auf die gemäß §§ 403 ff. Strafprozessordnung bestehende Möglichkeit hingewiesen werden, wonach der Bedienstete einen aus einer Straf-tat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch, der zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehört, gegen den Beschuldigten schon im Strafverfahren geltend machen kann.
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- Rechtsschutz für in einem Amtsverhältnis stehende Personen
Nummer 1 bis 10 sind auf die in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum Freistaat Sachsen stehenden Personen entsprechend anzuwenden.
- 12
- Rechtsschutz in einem Zivilverfahren
Für ein Zivilverfahren kann Rechtsschutz gewährt werden, wenn das Verfahren im engen Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit des Bediensteten steht und besondere Fürsorgegründe dies gebieten. Nummer 1 bis 11 gelten dann entsprechend.
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- Inkrafttreten
Diese Regelung tritt am Tage nach der Veröffentlichung im Sächsischen Amtsblatt in Kraft.
Dresden, den 30. November 1994
Der Staatsminister des Innern
Heinz Eggert